// VON MAINZ NACH FULDA
Geplant war es dieses Jahr im März den Jakobsweg von Lissabon nach Porto zu gehen…. aber zum Glück habe ich im Dezember den kompletten Plan ad Acta gelegt. Jetzt habe ich zwar keinen Urlaub, aber die paar Tage Kurzarbeit möchte ich nun zum pilgern nutzen.
Doch wie geht das in Pandemiezeiten?
Geplant ist es morgens mit dem Zug zum Ausgangspunkt zu fahren und anstatt mich am Tagesende auf Herbergssuche zu begeben, fahre ich heim zum eigenen Bettchen. Die Tagesetappen möchte ich ganz spontan gestalten – nach Lust & Laune & natürlich Kondition bzw. Tageslicht.
Nun musste ich mir nur noch einen passenden Weg raussuchen – ein Jakobsweg sollte es sein… irgendwann will auch ich mal vor der Haustüre starten. Aber wer will das nicht?! Ich suche mir den Weg von Fulda nach Mainz raus, bin lange am rumsuchen und stoße auf die Bonifatiusroute , die über 180 Kilometer von Mainz nach Fulda führt.
Morgen geht es los! Der Rucksack ist gepackt, der Proviant ist vorbereitet und die Wanderkarte kam heute auch noch rechtzeitig an. Die Vorfreude steigt…
ETAPPE 1 // MAINZ – EDDERSHEIM // 29 KM
Um kurz nach 6 Uhr bin ich putzmunter und es juckt in den Waden… die Bonifatiusroute ruft. Der Zug bringt mich nach Mainz, wo ich um kurz nach halb 11 Uhr meinen ersten Stempel in den Pilgerpass bekomme. Vorbei am DOM und den Mainzelmännchen stehe ich auch schon am Rheinufer. Die nette Dame vom Guttenberg Museum (Stempel N°2) meinte man könne das Wasser nicht verfehlen, denn die roten Straßenschilder führen zum Rhein hin und die Blauen laufen parallel dazu.
Ich überquere den Fluss und bin in Wiesbaden… für die nächste Stunde geht die Welt unter, es stürmt und schüttet. Eine kleine Hütte bietet mir ein trockenes Brotzeitplätzchen. Nach 10 Kilometern kommt Hochheim in Sicht – reichlich Wolken, Sonne und Weinberge. Irgendwann komme ich in den Lauftrott, die Beine funktionieren und der Kopf schaltet komplett ab – traumhaft. Bei Flörsheim gibt’s ne zweite Brotzeit mit lecker Bauernkruste aus dem Hunsrück und Bergkäse. Weiter geht’s durch das Naturschutzgebiet „Weilbacher Kiesgruben“ – skurrile Landschaft zu deren Pflege eine wilde Ziegenherde eingesetzt wird.
Da es nicht mehr lange hell ist und ich abends noch zum Pizzaessen eingeladen bin, breche ich meinen heutigen Tag in Eddersheim ab. Natürlich verlaufe ich mich am Schluss noch mal und sammel unnötige Kilometer. Fix und fertig hock ich in der Bahn und lasse meine erste Etappe revue passieren – es war ein toller erster Tag mit ein paar netten Begegnungen und vielen nassen Joggern
ETAPPE 2 // EDDERSHEIM – ESCHBORN // 23 KM
23 Kilometer später hocke ich nun in der S3 nach Darmstadt. Mein zweiter Pilgertag ist rum und ich kann die Augen kaum aufhalten Der gestrige Abend war war doch zu lang aber lecker war‘s
Gestartet bin ich gegen 9 Uhr in Eddersheim und kam kurz vor 14 Uhr in Eschborn an. Neben dem Slalomlauf zwischen Hunden, Joggern und Radfahrern gab‘s zum Glück doch noch ein paar Highlights: den ganzen Tag bin ich zwischen den Taunushügeln linkerhand und der Frankfurter Skyline rechterhand gelaufen.
Besonders cool waren die Apfelplantagen bei Kriftel – im Sommer muss der Geruch dort hammer sein zuletzt sind die kleinen Häuschen in Alt Zeilsheim zu erwähnen. Eschborn werde ich mir dann morgen anschauen. Schee war’s heut – freu mich auf meinen Sessel
ETAPPE 3 // BERGEN-ENKHEIM – LANGENSELBOLD // 36 KM
Adé Bonifatius! Ich kehre dem Frankfurter Speckgürtel den Rücken. Zum einen möchte ich nicht noch 1,5 Tage durch städtisches Gebiet laufen (Ich will ins Grüne!!!) und zum anderen steigt meine Pendelzeit die nächsten Tage arg in die Höhe, hatte ich so noch nicht im Blick. Aber da mein Hauptziel ja Mainz->FULDA ist, wird einfach die Route geändert – in Bergen Enkheim starte ich auf die „Hohe Straße“ eine alte Handelsroute die von Frankfurt bis Leipzig und sogar weiter bis nach Kiew führt. Nun folge ich der Via Regia / Jakobsweg bis nach Fulda Nach einem regnerischen Start heitert es relativ früh auf…
Die heutige Entscheidung auf der Hohen Straße weiterzulaufen war mehr als richtig. Geniales Wetter, obwohl ich 3 x komplett durchnässt war. Tolle Ausblicke. Schnee auf dem Vogelsberg. Päuschen mit einem netten Frankfurter Herrn – er war radelnd unterwegs und hat mir Ostereier „Marc de Champagne“ angeboten. Ja ich weiß: keine Süßigkeiten von fremden Männern annehmen. War trotzdem lecker. Mein absolutes Highlight heute war die Brotzeit auf dem Klettertum – etwas windgeschützter habe ich‘s mir hier gut gehen lassen.
Mein heutiges Etappenziel Langenselbold erreiche ich nach 36 Km. Freu mich schon auf morgen – falls die Füße da noch mitmachen
ETAPPE 4 // LANGENSELBOLD – GELNHAUSEN // 19 KM
Mein 4. Pilgertag endet nach „nur“ 19 Km in Gelnhausen. Ich bin relativ früh in Langenselbold los und habe das rege Morgentreiben genossen. Ich finde die Jakobsmuschel und folge ihr raus aus der Stadt. Es geht durch kleine Waldstückchen, vorbei an Rabenfeldern, kämpfenden Milanen und roten Äckern. Der Weg hält heute jede Menge Schilder und Zeichen bereit… komme mir vor als würde ich durch einen Werbefilm laufen. Gelnhausen werde ich mir morgen anschauen. Der Sessel ruft
ETAPPE 5 // GELNHAUSEN – BAD SODEN-SALMÜNSTER // 25 KM
Um kurz nach 8:00 steige ich in Gelnhausen aus dem Zug. Der Krähenbaum begrüßt mich am Bahnhof und ich starte gut gelaunt in meinen 5. Pilgertag. Ich schlendere durch Gelnhausen und genieße blauen Himmel und Fachwerkarchitektur.
Der Weg an der Kinzig entlang ist so monoton, dass ich komplett in meine Gedanken abtauchen kann. Im Wächtersbacher Industriegebiet verpasse ich den Abzweig (gar nicht so einfach den Weg falsch rum zu laufen ) und laufe ewig bis ich mich dank Handy wieder raus navigiert habe… Rumirren macht hungrig und durstig. Am Cider nippen und vom nächsten Irland Urlaub träumen Da die Muschel nicht mehr aufgetaucht ist, suche ich mir meinen eigenen Weg nach Bad Soden: ein kleiner Weg entlang der Bahnlinie vorbei an Auen und Pferdekoppeln. Zwischendurch graupelt es immer mal wieder – arg zapfig ist‘s geworden. Morgen eine Lage mehr einpacken! Bis auf die kleinen süßen Schindelhäuschen habe ich in Bad Soden nichts entdecken können. Morgen früh mal die Augen auf halten…
ETAPPE 6 // BAD SODEN-SALMÜNSTER – SCHLÜCHTERN // 23 KM
Guten Morgen von unterwegs Tag 6 startet mit einem leckeren Spinatbörek… gestärkt wandere ich die ersten Kilometer durch Bad Soden und wieder raus. Es ist frostig – die Handschuhe sind an. Bis jetzt gefällt mir der heutige Weg ausgesprochen gut, die Sonne lacht, die Vögel zwitschern und hinter mir tackert ein Zug. Nach meiner Knoppers-Pause geht’s weiter Richtung Stausee
Was ne Tour heute kurz nach meinem Päuschen erreiche ich die Kinzigtalsperre – und ein schönes Sonnenbänkchen. Mein nächster Halt ist Steinau an der Straße – direkt an der Via Regia. Die Gebrüder Grimm haben hier einen Teil ihrer Jugend verbracht. Ich freue mich über den Schlosshof, das gute Wetter und die kleinen Gässchen.
Nachdem ich alles ausgiebig erkundet habe schlendere ich weiter Richtung Schlüchtern. Die City schaue ich mir morgen an, denn der Bahnhof liegt ziemlich abseits auf einem Hügel. Schee war’s heut… und morgen begleitet mich eine Freundin
ETAPPE 7 // SCHLÜCHTERN – NEUHOF // 27 KM
Um Punkt 7:30 Uhr treffe ich mich mit Jacky in Schlüchtern – der erste Gang ist Brotzeit holen im Herkules. Danach folgen wir der Muschel, es wird immer hügeliger und es liegt Schnee. Wir kraxeln einen Hang den Wald hoch, Jacky verliert einen Handschuh… wir finden ein sonniges Brotzeitplätzchen. Doch kaum ist der erste Haps im Mund verschwunden, fängt es an zu hageln und es sind gefühlt 10°C kälter.
Wir sind jetzt in der Rhön! Unser heutiges Tagesziel ist Neuhof – wir wandern direkt auf „Monte Kali“ zu – abwechselnd Schnee und Sonnenschein. Nach knapp 27 Kilometern ruhen wir unsere müden Knochen aus und genießen Bier und Karottenmuffins in der Sonne – und wieder taucht dieses Hagelwölkchen auf danke @jaqueline.renn dass du mich eine Etappe begleitet hast, war ein schöner Tag
ETAPPE 8 // NEUHOF – FULDA // 19 KM
Mein letzter Pilgertag startet früh – ich genieße die Ruhe und die Zugfahrt am Morgen. Die Muschel führt mich aus Neuhof raus… vorbei am „Monte Kali“, durch eine Birkenallee, mit Sicht auf die Rhön bis zum ersten Blick auf Fulda. Auf einem Sonnenbänkchen gibt‘s Brotzeit vor verschneiter Wasserkuppe.
Juhuuuu ich hab‘s geschafft- um kurz vor Zwei stehe ich vor dem Fuldaer Dom – was ein irres Gefühl.
8 Etappen, 201 Kilometer, fremde Ecken, vertraute Gefilde, Sonne, Sturm, Regen, Schnee, bergauf, bergab, viel Asphalt, viel Matsch, nette Wegbegleiter (ob dabei oder live dabei am Telefon), tolle Landschaften, lecker Cider, kiloweise Bauernbrot, urige Brotzeitecken, voll motiviert, null Bock, entspannte Zugfahrt, nervige Mitfahrer, viele Muscheln gefunden, noch mehr übersehen – ich bin glücklich über all diese Momente. Und am Ende hab ich Bonifatius doch noch gefunden! Und wie war es so als Pendel – Pilger? Eins Vorweg: das ist keine Alternative zum Pilgerleben in Südeuropa – aber dennoch einen Blick wert. Keine Herbergssuche, kein tägliches Wäschewaschen, leichtes Gepäck, gut in den Alltag zu integrieren…Mal sehen, wo‘s als nächstes hin geht